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Einige Worte zur Eröffnung der Ausstellung Soweitsogut von Karl-Theo Stammer am 4.2.2010 im Kunstkabinett Hans Martin Hennig Ich erinnere mich. Karl-Theo Stammer kommt in mein Kunstkabinett und sieht sich die Ausstellung Blindzeichnungen von Christoph Loos an. Intensiv und schnell der Blick. Dazu ein einvernehmlicher kurzer Kommentar. Etwas unruhig und schnell der Gang durch den Ausstellungsraum. Und dann ist Karl-Theo Stammer auch schon wieder weg. Später besuche ich seine Ausstellung im Wissenschaftszentrum nahebei und bin begeistert. Die große musikalische Weite der Zeichnung, die vitale und ausbalanzierte Welt des Linolschnitts. Und jetzt wieder hier: Die Geschichten des Bleistifts, die Geschichten des Kugelschreibers, die Geschichten von Farbe und Linie als Expedition in das Unbekannte, an der auch wir teilnehmen können, wenn wir schauen, nach innen, nach außen, nach innen und immer weiter. Eduarda Chillida schreibt: Mit einer Linie verbindet man die Welt, mit einer Linie trennt man die Welt. Zeichnen ist schön und ungeheuerlich zugleich. Hans Martin Hennig Beate Eckstein. Rede zur Ausstellungseröffnung Karl Theo Stammer - Soweitsogut am 4.2.2010 „Soweitsogut“ Ich kenne und schätze die Arbeiten von Theo Stammer über einen Zeitraum von fast 20 Jahren. Und doch hatte ich erst vor kurzem die Gelegenheit, Stammers eigentliche Anfänge zu sehen – seine sorgsam archivierten Kinderzeichnungen aus den späten 50er Jahren. Oder, wie man auch sagen könnte: „Zeugnisse „einer schöpferischen Kindheit ohne Fernseher im Banne des Rheinischen Katholizismus“. Bevorzugte Themen des Fünf- bis Sechsjährigen - im Umgang mit Blei- und Buntstiften durchaus schon passionierten Kunsteleven waren – wie könnte es im Rheinland auch anders sein: die „Heiligen Drei Könige“. Und dann - in fast dokumentarischer Auflistung - die Karnevalsumzüge in Sinzig und später auch in Bonn. In diesen wunderbaren und außergewöhnlich talentierten Kinderzeichnungen ist vieles angelegt, was sich heute in Stammers Bildern findet: Zuerst natürlich die originäre künstlerische Begabung. Und dann das fast manische Arbeiten mit dem Bleistift, das Begreifen und Verarbeiten der Welt und des Erfahrenen und Gesehenen in und mit der Zeichnung. Unübersehbar ist auch das nachdrückliche Interesse an Ritualen von Kommune und Klerus, das bis heute währt: Hier sei exemplarisch Stammers wunderbare Fotoserie über eine traditionelle Männerwallfahrt in Südtirol genannt. Damit ist eine weitere wichtige, eher zeitgenössische Inspirationsquelle für Theo Stammer genannt: Südtirol, insbesondere seine Wahlheimat Bruneck und dessen Umgebung bilden für ihn ein unerschöpfliches Bild-Archiv, das sich in zwei weiteren Fotobänden und einer stetig anwachsenden Fotosammlung niederschlägt. Gebirgszüge oder Serpentinenstrecken, die Stammer während seiner durchaus extremen Radtouren gesehen hat, tauchen später als „Erinnerungsbilder“ in seinen Arbeiten (abstrahiert) wieder auf, ohne direkt ab-gebildet zu werden. Theo Stammer interessiert sich nicht minder für das scheinbar Nebensächliche, das Zufällige und für das gelebte, ursprüngliche, wahrscheinlich das „echte“ Leben (wie es in den Südtiroler Dörfern vielleicht noch zu finden ist). „Die Lüge beginnt beim Haarefärben“ lautete nicht umsonst der Titel einer Ausstellung in Bruneck, überhaupt ist ihm – wie Sie merken - ein fast Polke-mäßiger Wortwitz eigen: „So weit, so gut“. „Soweitsogut“ hat Theo Stammer seine Auswahl an neuen Arbeiten benannt, die er hier bei Hans Martin Hennig zeigt. „Soweitsogut“ ist eine momentane Bestandsaufnahme des Bonner Kunstpreisträgers von 1993, der 1988 nicht von ungefähr auch den Hans-Thuar-Preis speziell für seine Zeichnungen verliehen bekam. Der Künstler zeigt hier die beiden wichtigsten Medien, in denen er sich bewegt und bewährt hat: Zeichnungen und Linolschnitte. Mit der Technik des Linolschnitts verbindet man vielleicht eher das „Bewährte“, „Beständige“. Die Rahmenbedingungen dieser graphischen Technik im sog. Hochdruckverfahren kennen viele von Ihnen wahrscheinlich noch aus der Zeit des Kunstunterrichts. Karl Theo Stammer hat diese Technik bereits während seines Studiums in Köln aufgegriffen und sie – wie auch seine Künstlerkollegen Picasso, Matisse, HAP Grieshaber, Jürgen Partenheimer und mancher mehr - mit den Jahren zu einer sehr eigenen, unverwechselbaren Farbdrucktechnik entwickelt. Davon sehen sie hier eine Auswahl aktueller Drucke, jeweils in einer 7er Auflage.(Epreuve d’Artiste/EA) Es ist kein Zufall, dass Stammer sich nach eigenem Bekunden nie für den Holzschnitt interessiert hat, weil durch die starke Prägung und Struktur des Holzes Vorgaben für die Bearbeitung des Druckstockes entstehen, die den freien Fluss der Linien, Gitter und Netzstrukturen beeinflussen könnten. Die Farbigkeit seiner Linolschnitte variiert von zarten, transparent übereinanderliegenden gelblich-grünen bis zu kräftigen Signalfarben. Nennt Theo Stammer den komplizierten Vorgang des Druckens „eine Operation am offenen Herzen“, so bezeichnet er damit treffend die notwendige Virtuosität, um mehrfarbige Drucke, teils mit mehreren kleineren Druckplatten und verschiedenen Farbwalzen pro Blatt zu produzieren. So finden sich in einer Auflage manchmal kleinere Abweichungen, die den Reiz der Serie noch erhöhen. Die Zeichnung ist per se ein freieres, unmittelbareres Medium, bei der zwischen Idee und Ausführung – eben im Gegensatz zum Linolschnitt – kein korrigierender gestalterischer und technischer „Filter“ dazwischen liegt. Seit der Renaissance erfährt das Medium „Zeichnung“ mit dem Begriff des Disegno, das ja vom lateinischen „designare“: „bezeichnen“, „zeichnen“, „im Umriss“ darstellen abstammt - eine große Wertschätzung. „Disegno“ versteht Vasari als „Zeichnung“, als „künstlerische Idee“ wie auch als „Entwurf“ oder „geistiges Konzept in einem religiösen Sinne“. Und für Michelangelo diente der „disegno“ als Quelle für alle Malerei, Bildhauerei, Architektur sowie als Grundlage jeder Wissenschaft. „Wer diese große Kunst beherrscht, der möge erkennen, dass ihm eine unvergleichliche Macht untertan ist. Er wird, mit nicht mehr als Feder und Pergament Dinge schaffen, die größer sind als alle Türme der Welt.“ Für Theo Stammer ist die Zeichnung ein ebenso zentrales Mittel seiner Kunst: Ideenwerkstatt, Entwurf und Konzept in einem – ganz im Sinne der Renaissance –, auch wenn sich die Darstellungsweise im Laufe der Jahrhunderte sicherlich etwas gewandelt hat. Stammers Zeichnungen sind niemals Abbild, sondern entstehen unmittelbar aus freier Hand, spontan, fast leicht daherkommend, und sind doch gleichsam sorgsam komponiert und entworfen. Die innere Bewegung oder Erregung wird durch die Hand, den Bleistift oder auch den Kugelschreiber expressiv auf das Papier gesetzt und geführt, ohne aber eine expressionistische Haltung einzunehmen. Die Hand wird dabei – mal als Daumenumriss oder Handrückenstruktur - Gegenstand und Werkzeug zugleich. Mal sind die Bleistiftlinien rhythmisch gruppiert und gegliedert, so dass eine fast „musikalische Komposition“ entsteht (Vielleicht standen hier auch Alban Berg, Gustav Mahler oder anderen Komponisten als Anreger bereit, vielleicht war es aber auch der zeitgenössische estnische Komponist Arvo Pärt.) Im Gegensatz zu den Linolschnitten gehen viele zeichnerischen Arbeiten über den Rand hinaus oder scheinen aus dem umgebenden oder dahinterliegenden Raum erst zu entstehen: Die ausführende Hand wiederum nimmt diese Bewegung auf und überträgt diese ungebrochen aufs Blatt. Immer wieder setzt Stammer seine Schraffuren hart gegen eine Kante oder fasst mehrere Stifte zu einem Art Bleistiftpinsel zusammen, so dass eigenwillige, abstrahierte Bleistiftlandschaften entstehen. Die neuesten Zeichnungen weisen eine Art All-Over-Struktur auf, die aus mehreren zentrisch anmutenden Bleistiftschraffuren in betörenden Hell-Dunkelfolgen besteht und fast malerische Qualitäten erreichen. Die zeitgleich entstandenen Kugelschreiberzeichnungen weisen anthropomorphe Formen und Figuren auf, die wie zufällig gruppiert aus dem Bildhintergrund hervorschweben. Zwar lassen sich in einigen Zeichengruppen deutliche Bezüge zu den Linolschnitten sehen, dennoch sind diese immer eigenständige Arbeiten und niemals (reine) Vorstufe einer gedruckten Form. Vielmehr sind die zeichnerischen Arbeiten Inspirationsquelle wie abstrakte Bildgebung in einem. Dennoch könnte man versucht sein, dem einen oder anderen Bild landschafts- oder gegenständliche Strukturen (Schiffe?) abzulesen. Doch: Diese Arbeiten sind nicht als Darstellung einer Realität zu interpretieren, sondern viel eher als ihr amalgamiertes Abbild, als Erinnerungsbild, als Ergebnis der Verarbeitung des Gesehenen im Betrachter selbst. So weit, so gut kann man sicherlich anhand dieser schön präsentierten Ausstellung sagen, man kann gespannt sein, wie es weiter geht, oder: so weiter ist gut! Beate Eckstein zurück |